Das große Ampel-Interview

14. Dezember 2021

... mit Ronja Endres, Marianne Schieder und Florian von Brunn - 3 von 8 Koalitions-Verhandler:innen der BayernSPD

Ampel-Interview

Marianne, wie ist es vor allem atmosphärisch, wenn man plötzlich mit Leuten zusammensitzt, die bislang jahrelang als Opposition gegen einen gearbeitet haben? War es schwer, zusammen zu finden?

MS: Nein, ich habe das nicht als schwer empfunden. Und so ging es auch meinen Mitverhandlerinnen und Mitverhandlern der SPD. Für meine Arbeitsgruppe kann ich wirklich sagen, dass wir, die Grünen und die FDP diese Verhandlungen mit großer Ernsthaftigkeit und Verantwortung geführt haben. Geeint hat uns die gemeinsame Vorstellung, wie der Fortschritt für Deutschland organisiert werden kann– und so habe ich es auch von allen anderen gehört. Das heißt konkret: Wir haben in der Sache hart verhandelt und uns für unsere Ziele eingesetzt. Aber immer getragen von dem Geist, gemeinsam etwas für unser Land schaffen zu wollen und können.

Ronja, Du bist keine Abgeordnete und musstest daher – neben Deiner ohnehin schon fordernden Arbeit als Landesvorsitzende – die Ampel-Marathon-Verhandlungen mit Deinem Job in Einklang bringen. Wie hast Du das eigentlich alles geschafft?

RE: Die Koalitionsverhandlungen verlangen komplette Aufmerksamkeit, jeder Tag muss vor- und nachbereitet werden, jedes Thema in Tiefe aufgearbeitet werden. Dazu kommen die üblichen täglichen Aufgaben einer Landesvorsitzenden. Ich habe mir während der Zeit der Verhandlungen unbezahlten Urlaub genommen, am verhandlungsfreien Tag habe ich Arbeit aufgeholt. Ich habe das große Glück, einen recht flexiblen Arbeitgeber zu haben.

Marianne, Du hast die Koalitionsverhandlungen mit der Union miterlebt, jetzt mit Grünen und FDP. Was ist anders? Und vielleicht auch besser als auf dem Weg zur GroKo?

MS: An der Großen Koalition 2017 habe ich selbst nicht mit verhandelt, dennoch liegen die Unterschiede auf der Hand: Nach den Ergebnissen der Bundestagswahl 2017 wollten weder SPD noch Union eine erneute Große Koalition eingehen und erst nach langem Ringen innerhalb der SPD haben wir mit den Verhandlungen begonnen. Wir sind damals als SPD in die Bresche gesprungen, weil wir staatspolitische Verantwortung für unser Land gespürt haben. Dieser Verantwortung sind wir trotz der Umstände auch gerecht geworden und der damalige Koalitionsvertrag wie auch unsere Politik in den vergangenen vier Jahren haben das Leben vieler Menschen besser gemacht.
Dieses Mal war es jedoch grundlegend anders: Wir haben diese Wahl gewonnen, Grüne und FDP haben zugelegt. Und schon in den Sondierungen ist klar geworden, dass in einer Ampel der Aufbruch gelingen kann und alle drei Parteien die großen Zukunftsthemen, wie etwa soziale Sicherheit in einer globalisierten Welt, Klimaschutz und Digitalisierung gemeinsam angehen wollen.

Florian, kannst Du etwas aus dem Nähkästchen plaudern, wie es dazu kam, wie viele Verhandler:innen und welche genau aus Bayern mitverhandeln durften? War es schwer, immerhin acht Verhandler:innen der BayernSPD in die Teams zu bringen?

FvB: Wir haben viele kompetente Abgeordnete und Politiker:innen, die Koalitionsverhandlungen führen können. Das haben Ronja und ich so kommuniziert. Natürlich hätten wir uns den ein oder anderen Namen mehr gewünscht, schließlich verfügt die BayernSPD über viele anerkannte Expert:innen auf ihren Gebieten. Aber acht Genossinnen und Genossen insgesamt finde ich schon beachtlich – wir waren damit sehr gut vertreten!

Eine Frage an Euch Drei: Welche Punkte aus bayerischer Sicht waren Euch in Euren jeweiligen Verhandlungsgruppen am wichtigsten? Bei welchen Punkten wird Bayern am stärksten von der neuen Politik profitieren?

MS: Der Koalitionsvertrag bietet beste Chancen für Bayern. Aus meiner Verhandlungsgruppe möchte ich die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung nennen, für die wir uns eingesetzt haben. Wenn bis 2030 80 % des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen, ist dies ein riesiges Konjunkturprogramm für den ländlichen Raum, denn dort wird die Wertschöpfung stattfinden.
Die vorgesehen Maßnahmen zur Transformation des Automobilsektors sind von größtem Vorteil für uns als großer Automobilstandort und werden Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung erhalten.
Von der Anhebung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 % des BIP werden die bayerischen Universitäten und Hochschulen massiv profitieren. Auch das Handwerk wird gezielt gefördert, die Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung verbessert, sowie eine Begabtenförderung in der beruflichen Bildung geschaffen.
Ansprechen möchte ich zudem die geplante Steigerung des Schienen- und Güterverkehrs bis 2030 auf 25 % und die Verdoppelung der Verkehrsleistung des Personenverkehrs: Das wird auch bei uns die Straßen entlasten und den ÖPNV voranbringen. Begonnen wird mit den Schienenprojekten aus dem Deutschlandtakt, wo Bayern beispielsweise mit den Strecken München-Kiefersfelden-Grenze D-A, der Elektrifizierung Hof-Regensburg und Nürnberg-Reichenbach Grenze D-CZ explizit genannt ist. Mit genannt sind die zentralen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen SüdLink und SüdOstLink, die ebenso über Legalplanung beschleunigt werden sollen.

FvB: Gerade im Bereich der Umweltpolitik ist Bayern eigentlich ganz besonders stark. Wir haben enorme Potentiale für Erneuerbare Energien: Sonne, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. Das ist ein großer Vorteil. Und zugleich haben wir in Bayern die größten Bremser in der Regierung, wenn es um die Windkraft geht. Hier wird sich durch die SPD-geführte Regierung in Berlin eine Dynamik gerade auch für Bayern entwickeln. Darin sehe ich eine ganz große Chance. In Sachen Erneuerbare Energien sind wir ein schlafender Riese, der nun von Berlin aus wachgeküsst wird.
Die Wohnungsbaupolitik war zwar nicht mein Verhandlungsgebiet, aber auch hier wird sich gerade für Bayern vieles zum Positiven ändern. Wir werden viel mehr Wohnungen bauen – Olaf will allein 100.000 geförderte neue Wohneinheiten pro Jahr – und wir werden den Mieterschutz noch einmal verbessern. Das ist dringend notwendig, denn auch hier kommt von der Union nichts.

RE: Die CSU in Bayern versagt seit Jahren bei der Krankenhausplanung. Hier gewinnt die Bundesebene mehr Einfluss. Die Finanzierung der Krankenhäuser verbessern wir, indem wir die Vorhaltekosten aus den Fallpauschalen herausnehmen, das wird auch einigen Häusern in Bayern helfen.

Und was sagt die AfA-Landesvorsitzende in Dir zum Koalitionsvertrag?

RE: Meine AfA-Sicht ist vor allem die der Arbeitnehmer:innen. Der Beruf der Pflegerinnen und Pfleger ist wunderschön, wenn er die richtigen Bedingungen hat. Mehr Zeit für die Arbeit am Menschen und familienfreundliche Arbeitszeiten sind dabei mindestens genauso wichtig wie eine ordentliche Bezahlung. Gerade in den größeren Städten in Bayern ist das Leben teurer als anderswo in Deutschland. Höhere Löhne im Bereich der Gesundheit und Pflege sind daher immens wichtig, damit sich auch eine Altenpflegerin ein Leben in München noch leisten kann.
Ich habe den Bereich zwar nicht selbst verhandelt, ich bin jedoch besonders erfreut über das Kapitel der Transformation. In Bayern können wir für die Automobilindustrie und deren Zulieferer endlich den Wandel der Branche mit Weiterbildung und Transformationsclustern so begleiten, dass nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Strecke bleiben.

Florian, alle Verhandler:innen haben tatsächlich bis zuletzt Stillschweigen über die Inhalte gewahrt. Wie intensiv hat die Presse, haben Mitglieder und andere Abgeordnete Euch bearbeitet, um an Informationen zu kommen?

FvB: Sobald die Namen der Verhandler:innen öffentlich waren, ging es los. Das ist aber auch ganz normal, dass vor allem Journalist:innen, aber auch Verbände und Lobbyisten ihre Anliegen und Positionen mitteilen wollen. Und tatsächlich war der ein oder andere Hinweis gerade aus der Partei dabei, der uns wirklich geholfen hat. Wir haben wirklich sehr kompetente Mitglieder – das ist großartig! Das gilt nicht nur für Soziales und Arbeit, sondern auch für den Umweltbereich.

Ronja, war es im Nachhinein richtig, derart zugeknöpft zu sein und die Bevölkerung über die Verhandlungen so lange im Ungewissen zu lassen?

RE: Grüne und FDP waren gebrannte Kinder. Die letztlich gescheiterten Verhandlungen 2017 waren ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht mehr sein sollte. Von Anfang an herrschte daher Einigkeit, dass wir das so durchziehen. Und das Ergebnis gibt uns Recht. Nach innen war das auch eine gute vertrauensbildende Maßnahme, von der wir bei dem ein oder anderen hart verhandelten Thema dann auch profitieren konnten. Mit gegenseitigem Vertrauen verhandelt es sich einfach besser.

Florian, die Ampel-Verhandler:innen sprechen von einer „Zukunftsregierung“. Gerade in der Umweltpolitik ist es 5 vor 12. Wie viel Zukunft steckt hier tatsächlich in diesem neuen Bündnis?

FvB: Jede Zeile des Koalitionsvertrages macht deutlich, dass hier die Bremser der letzten Jahre nicht mehr mit am Tisch saßen. Natürlich hat insbesondere die FDP das Wohl der Wirtschaft im Blick und wir als Sozialdemokratie alle, die arbeiten. Wir wissen auch, dass wir ohne Arbeit und gute Beschäftigung den Sozialstaat kaum finanzieren können. Von daher war uns allen klar: Ökologie geht nur Hand in Hand mit Ökonomie. Und für uns ist es selbstverständlich, muss sozial gerecht sein und alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen.
Aber wir haben es geschafft, Klimaschutz, gute Arbeit und Gerechtigkeit zusammenzubekommen. Zentral dafür ist, dass wir die Energiewende enorm beschleunigen werden und endlich auch Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft voranbringen. So schaffen wir eine gute Zukunft für unsere Kinder und sichern eine nachhaltige Wirtschaftsdynamik.

Die SPD steht für das Soziale, die Grünen für die Umwelt und die FDP für Freiheit und Digitales. So holzschnittartig wurde das oft in den Medien dargestellt. Stimmt es auch?

FvB: Gerade im Bereich der Umweltpolitik hat mich das ein ums andere Mal schon geärgert. Wir sind als SPD nicht nur in Bayern beim Thema Umwelt- und Naturschutz schon Vorreiter gewesen, da gab es die Grünen noch gar nicht. Die SPD hat sehr viele sehr engagierte Umweltpolitiker:innen in ihren Reihen, trotzdem sieht man uns mit Blick auf unsere Herzkammer im Pott oft nur als Kohle-Partei. Das wird uns nicht gerecht.

Ronja, du hast den Bereich Gesundheit und Pflege mitverhandelt. Ein Feld, das wie kaum ein anderes voller Minen und Lobbyisten ist. Wie groß war der Druck von außen und wie schwer war es, so unterschiedliche Positionen zusammen zu führen?

RE: Wie Florian schon erwähnte: Sobald die Namen raus waren, klingelte das Handy ohne Pause. Für mich als AfA-Landesvorsitzende war aber von Anfang an klar, dass wir gerade in diesem Bereich nur etwas zum Guten verändern können, wenn wir zuallererst diejenigen ins Auge fassen, die unser Gesundheitssystem am Laufen halten. Das war meine Verhandlungsbasis bei allem, was wir besprochen haben. Die Politik kann ein so komplexes System wie den Gesundheits- und Pflegesektor nur dann reformieren, wenn sie dabei immer die Arbeitnehmer:innen im Blick hat. Mancher Koalitionspartner sah das naturgemäß nicht ganz so wie wir. Dass wir aber doch am Ende zusammengefunden haben, ist eine großartige Sache.

Marianne, Deine Arbeitsgruppe „Moderner Staat und Demokratie“ klingt erstmal nach wenig Konfliktstoff. Wo waren die Positionen am weitesten auseinander und wie habt Ihr das dann zusammengeführt?

MS: Es stimmt, dass wir uns in dieser Arbeitsgruppe bei einigen Themen von Vorneherein einig waren, beispielsweise bei der Frage des Wahlrechts mit 16, allerdings werden wir dies nur für die Europawahlen beschließen können. Für die Bundestagswahl benötigen wir eine Zweidrittelmehrheit, somit auch die Stimmen der Union. Auch bei der Notwendigkeit, das Petitionsrecht bürgerfreundlich umzugestalten, waren wir schnell auf einer Linie.
Beim Themenbereich Planungsbeschleunigung gab es unterschiedliche Vorstellungen von Grünen und FDP, aber beide Seiten haben sich bewegt und ich meine, wir haben ein gutes Ergebnis erreicht. Aber natürlich sind und bleiben wir drei unterschiedliche Parteien. Sicherlich hätten wir in der einen oder anderen Frage im Detail etwas mehr erreichen wollen, an anderer Stelle wären wir nicht so weit gegangen. Insgesamt kann ich sagen, dass ich dem Ergebnis unserer Verhandlungsgruppe gerne und mit großer Zufriedenheit zugestimmt habe.

Eine Frage an Euch Drei: Die BayernSPD ist künftig die einzige bayerische Stimme in der Regierung bzw. in den Regierungsfraktionen. Wie wird das Eure Arbeit in Berlin, München und ganz Bayern verändern?

RE: Unsere Abgeordneten sind nun für viele in Bayern die einzige Anlaufstelle, wenn sie ihre Positionen und Probleme dort platziert sehen wollen, wo die Entscheidungen gefällt werden. Das wertet natürlich auch die BayernSPD als Ganzes auf. Wir nehmen diese neue Rolle an und freuen uns als Landesverband über viele neue Kontakte zur Gesellschaft und Wirtschaft.

MS: Ich habe mich sehr gefreut, dass mich die Landesgruppe vor wenigen Wochen als Vorsitzende bestätigt hat und kann nur unterstreichen, dass sich die Landesgruppe weiterhin mit ganzer Kraft für die bayerischen Interessen in Berlin einsetzen wird. Dies gelingt am besten, wenn die Zusammenarbeit zwischen Landespartei, Landtagsfraktion und Landesgruppe – wie bisher – eng und vertrauensvoll abläuft und wir mit einer gemeinsamen bayerischen Stimme sprechen. Mit einer starken SPD an der Regierung waren die bayerischen Interessen schon immer in guten Händen.

FvB: Bayern ist nicht nur durch seine Wirtschaftskraft, sondern auch wegen seiner in vielen Teilen trotzdem sehr ländlichen Strukturen ein besonderes vielfältiges Bundesland. Die Interessen, die es hier zu vertreten gilt, sind wohl in keinem anderen Land so breit und teilweise auch so gegensätzlich. Die CSU tut seit Jahren viel zu wenig dafür, das Gefälle innerhalb des Landes nachhaltig zu verringern. Das spüren die Menschen immer deutlicher. Hier müssen wir ansetzen: Im Landtag genauso wie als starke Stimme Bayerns in Berlin.

Die gekürzte Fassung dieses Interviews ist im Bayern-Teil des Vorwärts erschienen.

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